Daniel Funk's Griechenlandblog

Daniel Funk's Griechenlandblog über die Krise in Griechenland

Kategorie: Uncategorized

«Και του χρόνου στην πατρίδα…!» (dt. «Und nächstes Jahr in der Heimat»)

Letzte Woche war ich in Ungarn. In Budapest suchten wir nach Spuren eines Verwandten, der dort lebte und 1968 starb.

Wir wussten wenig über ihn. Ende des 19. Jahrhunderts geboren, war er in die Wirren des ersten und des Zweiten Weltkrieges gekommen. Beim anschliessenden Bürgerkrieg hatte er sich auf der Verliererseite wiedergefunden. Die Linken, die sich exponiert hatten, sahen sich vor die Wahl gestellt: Gefängnis oder Exil. Wir wussten, dass er das ungarische Exil wählte und dort 1968 starb.

Bei unseren Recherchen stand uns eine ungarische Verantwortliche mit Rat und Tat zur Seite. Wir fanden heraus: Die griechischen Exilanten durften dort ein Dorf gründen – es heisst Beloiannisz, gennant nach dem hingerichteten Freiheitskämpfer Nikos Belogiannis.

Sie lebten dort, aber auch in Budapest, und hofften, eines Tages wieder in die Heimat zurückzukehren. Unser Verwandter hat es nicht geschafft. Er hat seine Kinder nicht mehr gesehen und sein Grosskind nie kennengelernt.

Die ungarischen Kommunisten schrieben alles auf. Es gibt Archive. Und diese wurden jüngst digitalisiert. So war es möglich, ihn zu finden.

Und die Griechen in Ungarn schrieben Bücher und verfügten über eine eigene Zeitschrift. Diese Druckprodukte zeugen von Heimweh und von der Hoffnung, dereinst die Heimat wieder zu sehen, die ihnen derart übel mitgespielt hatte. «Και του χρόνου στην πατρίδα!» (dt. «Und nächstes Jahr in der Heimat») wünschten sie sich und stellten Repatriierungsanträge. Bis zum Amtsantritt der ersten Linksregierung von Ministerpräsident Andreas Papandreou lautete die Antwort meist: «Ο επαναπατρισμός σας δεν ενεκρίθη.» (dt. Ihre Repatriierung wurde nicht genehmigt.)   

Vergebliche Hoffnung. Letzte Woche standen wir am Grab unseres Verwandten. Dieses besteht noch, ist aber arg verwittert. Wir legten Blumen nieder und reisten weiter, Richtung Griechenland.

Der Bürgerkrieg von 1944 bis 1948 hatte das Land gespalten. Die Tochter unseres Verwandten durfte ihren Vater nicht besuchen. Das hätte dazu geführt, dass sie aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden wäre. Um für den Staat zu arbeiten, musste man nach dem Bürgerkrieg in Griechenland bis in die 70er Jahre ein Zertifikat haben, mit dem man bewies, dass man politisch unverdächtig war. Und das war man nicht, wenn man Kontakt zu einem Exilanten hatte.

Linke und Rechte besuchten je andere Kaffeehäuser, Familienmitglieder sprachen nicht mehr miteinander – man schenkte sich nichts. Jahrzehntelang.

Diese Spaltung der griechischen Gesellschaft dauerte bis in die Achtzigerjahre. Bis ab 1981 die erste Linksregierung von Andreas Papandreou diese Zeitperiode aufarbeitete und denjenigen, denen Unrecht geschah, eine Entschädigung oder eine Rente zusprach, Repatriierungen ermöglichte und um Verzeihung bat.

Die Spaltung entstand nicht nur, weil die Gräben tief waren, sondern weil man sich nicht schnell die Hand zur Versöhnung reichte. Und wie Versöhnung geht, hat Griechenland, wenn auch sehr spät, vorgemacht. Heute gehen griechische Fernsehstationen nach Beloiannisz, berichten und der Umgang mit diesen Geschehnissen ist entspannt. Eben gerade, weil das ganze Leid in den Büchern steht und – spät aber immerhin – aufgearbeitet wurde.

«Tempi war kein grosser Unfall, sondern ein Staatsverbrechen»

Die Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit wie Straflosigkeit für Politiker, das feindliche Umfeld für Journalisten, mangelnde Fortschritte bei Ermittlungen zu Journalistenmorden und einem Eisenbahnunglück sowie die Konzentration von Medien in den Händen von Oligarchen lassen sich nicht mehr totschweigen. Eine Mutter klagt an.

(Bern, 18. Februar 2024) Am 7. Februar äusserte eine Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments in einer Abstimmung Besorgnis über die Einhaltung der EU-Werte in Griechenland. Die nicht-bindende Resolution bezog sich auf Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit in Griechenland. Von den 610 Parlamentariern äusserten 330 «sehr ernste Bedrohungen der Demokratie (…) und der Grundrechte» in Griechenland, während 254 dagegen stimmten und 26 sich der Stimme enthielten.

Kritik im EU-Parlament

Die Debatte im EU-Parlament konzentrierte sich auf ein als «feindlich» beschriebenes Umfeld für Medien und Journalisten in Griechenland. Insbesondere wurden Bedenken hinsichtlich des Medienpluralismus und der Sicherheit von Journalisten geäußert. Kritik richtete sich insbesondere an die langsame Fortschritte der Polizei in Bezug auf die Ermordung des Journalisten Georgios Karaïvaz im April 2021. EU-Parlamentarier äusserten Besorgnis über verbale und physische Bedrohungen gegen Journalisten.

Es wurde auch Kritik an «missbräuchlichen Klagen» gegen Medienvertreter und der Verletzung der Privatsphäre durch den Einsatz von Spähsoftware geäussert. Die EU-Parlamentarier wiesen darauf hin, dass die Verantwortlichen möglicherweise im Umfeld des Premierministers zu finden seien. Die Überwachung erstrecke sich nicht nur auf Oppositionspolitiker wie PASOK-Chef Androulakis, sondern auch auf Parteifreunde, mutmasslich, um sie zu beeinflussen.

Die Konzentration der Medien in den Händen von Oligarchen sowie die Verteilung staatlicher Fördermittel bereitet ebenfalls Sorgen in Brüssel. Weitere problematische Bereiche, die genannt wurden, umfassen den Einsatz von Spyware, Korruption und Gewalt seitens der Polizei. Die EU-Kommission wurde aufgefordert, die Verwendung von EU-Fördermitteln zu überwachen und zu bewerten. Die Mehrheit der EU-Parlamentarier forderte ausserdem Ermittlungen unter Beteiligung von Europol, um die Situation genauer zu untersuchen.

Damit beziehen sie sich zum Beispiel auf den schwersten Eisenbahnunfall in der Geschichte Griechenlands, bei dem im März 2023 ein mit über 300 Personen besetzter Intercity mit einem Güterzug im Tempi-Tal bei Larissa kollidierte. Moderne Sicherheitssysteme hatten gefehlt, trotz Warnungen der Eisenbahngewerkschaft und Klagen der EU wegen Verstössen gegen die Eisenbahnrichtlinie.

Gelder der EU zur Finanzierung eines solchen Systems sind zwar geflossen, aber dieses wurde nie installiert – trotz Hochgeschwindigkeitsverkehr.

Entgleister Rechtsstaat

Maria Karystianou verlor ihre 20-jährige Tochter bei dem Zugunglück von Tempi, das Griechenland erstarren liess. Heute kämpft sie für Gerechtigkeit.

Die Ärztin aus Thessaloniki und Mutter der 20-jährigen Martha, die in Tempi ums Leben kam, sagte im Januar vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aus, der die Verantwortung von Politikern für das Zugunglück untersucht. Ihre Zeugenaussage dauerte fast drei Stunden.

«Sie sehen mich hier allein, aber ich bin nicht allein. Stellen Sie sich 57 Menschen und ihre Familien neben mir vor. Und 180 verletzte Menschen neben mir und ihre Familien. Und stellen Sie sich auch jede einzelne Person vor, die im Laufe der Jahre in diesen Zug eingestiegen ist», sagte Karystianou, die Präsidentin der Vereinigung der Angehörigen der Opfer in Tempi ist, vor dem Untersuchungsausschuss.

Ihre Aussage wurde in Griechenland stark beachtet, denn es ist nicht üblich, dass eine Mutter, die ihr Kind verloren hat, mit einer solchen Fassung und Würde spricht.

Gegenüber der Presse (NEWS24/7) äusserte sie sich so:

«Das Verbrechen von Tempi umfasst alles. Gier, Herabwürdigung der Menschenwürde und Machtmissbrauch. Es beinhaltet die Knebelung der Medien, die Knebelung der Justiz und die vollständige Abschaffung des Konzepts der Rechtsstaatlichkeit», sagte Karystianou.

Die Züge wurden vom Stellwerk Larissa gesteuert, waren aber blind. Die Regierung wusste, dass Hochgeschwindigkeitszüge ohne Sicherheitssystem mit bis zu 200 km/h fuhren, aber sie hat den Unfall nicht verhindert. Ein Jahr nach dem Unfall ist die gerichtliche Untersuchung noch nicht abgeschlossen. Das Gleiche gilt für die Europäische Staatsanwaltschaft, die sich vor allem für die Millionen von Gemeinschaftsmitteln interessiert, die für die Verbesserung der Sicherheitssysteme der griechischen Eisenbahnen verschwendet wurden.

Im vergangenen Dezember leitete die Europäische Staatsanwaltschaft in Athen ein Strafverfahren gegen 23 Staatsbeamte und Privatpersonen (…) ein.

«Die Eisenbahn war nicht betriebsfähig», fuhr Karystianou fort, «und doch wurde sie betrieben.»

Der damalige Verkehrsminister Kostas Achilles Karamanlis sitzt noch immer im Parlament.  «Es wird an den Abgeordneten liegen, zu beurteilen, ob ein Minister strafrechtlich verantwortlich ist. Aber ist es nicht klar, dass dies nie geschehen wird, da die Regierung die Mehrheit hat? Die einzige Person, die dafür verantwortlich ist, wäre die Judikative. Was mit der parlamentarischen Immunität geschieht, ist schamlos und inakzeptabel.»  

In der Zwischenzeit wurde die Unfallstelle kaum 24 Stunden nach dem Unglück mit Zement zugeschüttet. Wie Karystianou gegenüber NEWS24/7 erklärte, konnte ein solcher Befehl nur von der Regierung erteilt worden sein.

Sie sagte, dass die Stelle in Tempi zugeschüttet wurde, um zu verhindern, dass eine allfällige illegale Fracht des Güterzuges aufgedeckt werde. «Beim Frontalzusammenstoss zwischen den zwei Zügen kam es zu einer gewaltigen Explosion, die nicht erklärt wurde, aber kein Chemieingenieur untersuchte die Stelle. Durch unsere eigenen Bemühungen ging die staatliche Chemieabteilung eineinhalb Monate später hin und fand Xylol an sieben Stellen. Niemand hat die Kameras an der Verladestelle für Güterzüge untersucht. Sie zeigen uns nur, wie unsere Kinder in den Personenzug einsteigen. Es ist beleidigend. Sie behandeln uns, als wären wir dumm.»

Kyriakos Mitsotakis hatte sich nach dem Unfall entschuldigt. Frau Karystianou sagte vor der Untersuchungskommission, dass man sich bei jemandem entschuldigt, den man versehentlich auf der Strasse stösst, nicht bei jemandem, den man umbringt. «Wir wollten keine Entschuldigung hören, wir wollten Sie in Aktion sehen. Wir wollten sehen, dass eine richtige Untersuchung durchgeführt wird», sagte sie.

Der Unfall von Tempi wurde schon in den ersten Stunden auf menschliches Versagen des Bahnhofsvorstandes von Larissa zurückgeführt, der in der fraglichen Nacht das Stellwerk bediente. «Hat er den Dienstplan erstellt, um allein in der Schicht zu sein, oder wurde er (von jemand anderem) allein auf diese Position eingeteilt?», fragte Karystianou. «Sie versuchen, den Schluss zu ziehen, dass der Bahnhofsvorstand und der Lokführer schuld sind», sagte sie. «All dies wird – was für eine Schande für mein Land – nächsten Monat im Europäischen Parlament präsentiert werden.»

Und so geschah es. Ab Minute 24’50’’ ist hier die Rede von Karystianou vor den EU-Parlamentariern zu sehen und zu hören (in griechischer Sprache).

«Tempi war kein grosser Unfall, sondern ein Staatsverbrechen», schleuderte sie den erschütterten Parlamentariern in den ersten Februartagen entgegen. 

In Griechenland sind nicht nur zwei Züge zusammengestossen, der Rechtsstaat ist entgleist.

Lob des «Economist»

Der Regierung kam nun zupass, dass der britische «Economist» diese Woche berichtete, Griechenland würde als Wiege der Demokratie wieder zu den Top-20-Demokratien der Welt gehören. Zu dieser Einschätzung kommt der vom britischen Wochenmagazin erstellte Democracy Index für das Jahr 2023. Demnach ist Hellas das erste Mal seit 2010 wieder eine «vollständige» bzw. «tadellose» Demokratie und ist damit höher eingestuft als die USA oder EU-Mitgliedsstaaten wie Italien, Belgien und Portugal.

Mit dem Hinweis auf den «Economist» versucht nun die Regierung, alle Kritik vom Tisch zu wischen. Es schlägt sich in den Kriterien offenbar nicht nieder, dass es zwar Gewaltenteilung gibt, diese aber für Politiker nicht gilt. Es spielt offenbar keine Rolle, dass die Presse vom Gesetz her unabhängig ist, aber wer die Regierung kritisiert, keine Subventionen kriegt. Es ist offenbar auch egal, dass seit Jahrzehnten immer die gleichen Politfamilien die politischen Parteien dominieren. Diese, die unaufgeklärten Morde, das versicherte EU-Geld und die Nicht-Aufklärung des Eisenbahnunglücks fallen aus dem Raster und bewegen sich ausserhalb der Kriterien.  

Die Reporter ohne Grenzen sehen es anders: Griechenland, nicht Ungarn oder Polen, ist derzeit das Land mit dem schlechtesten Ranking in der EU in Bezug auf Pressefreiheit. Damit belegt Hellas in Europa den letzten Platz.

Die griechische Regierung tut seit ihrem Amtsantritt alles, um in Brüssel und Washington gutes Wetter zu machen und von ihren Versäumnissen abzulenken. Es wird sich zeigen, ob das wieder gelingt.

Die Mutter von Lara Croft und Rambo spricht

        

(Griechenland, 8. Januar 2024) Der griechische Arbeitsmarkt ist kaputt. Die Löhne sind gering und die Aussichten düster. Eine Mutter berichtet mir, welche Lösungen ihre Kinder gefunden haben.«Mama, hast Du die Hauptnachrichten geschaut?»

«Ja, mein Kind».

«Hast Du die Fregatte gesehen, die fast mit der türkischen zusammengestossen ist?»

«Ja, klar, das ist die Neuigkeit des Tages».

«Ich bin da drauf!»

In einem Kafenion irgendwo in Griechenland. Wir kennen dort eine Frau, die seit Jahr und Tag serviert und hervorragenden griechischen Kaffee kocht. In einem ruhigen Moment sprechen wir sie auf ihre Kinder an, die früher manchmal dort ihre Hausaufgaben gemacht haben.

Sie spricht zuerst über die Tochter. Diese hat bei der Kriegsmarine angeheuert und ist Offizierin auf eine Fregatte. Deshalb kam es zu obigem Telefongespräch zwischen Mutter und Tochter.

Vor einigen Jahren gab es einen Militäreinsatz in Mali. Der Sohn der Frau ist Scharfschütze bei der schnellen Eingreiftruppe der griechischen Armee.

Das ist keine Operettenarmee. Und auch nicht die «beste Armee der Welt» (Altbundesrat Ueli Maurer), die kaputtgespart wurde. Die Griechen konnten die Friedensdividende nie einkassieren und geben viel Geld für ihr gut ausgebildetes Militär aus. Insbesondere die Marine ist derjenigen der Türkei nach wie vor überlegen.

Für einige Tage hatte ihn seine Mutter nicht gesprochen. Er war nicht ans Telefon rangegangen. Und plötzlich stand er da. Auf dem Fernsehbild in den Hauptnachrichten. Mit vorgehaltener Waffe sah sie ihn als Mitglied eines griechischen Vorausdetachements dieser Eingreiftruppe in Mali. Nebst seiner Hauptbeschäftigung ist das Fallschirmspringen ein weiterer Teil seines Jobs. Wenn er zu einer Mission aufbricht, dann darf er seinen Angehörigen davon nichts sagen. Er ist plötzlich verschwunden und geht nicht ans Telefon. Und plötzlich taucht er wieder auf. Zum Beispiel in Mali.

«Ich bin die Mutter von Lara Croft und von Rambo,» kommentierte die Mutter fatalistisch.

Aber da war doch noch ein anderer Sohn. Der ist in Berlin. Während des Studiums in Athen hatte er sich für ein Auslandsemester an der Spree angemeldet. Dort verliebte sich der junge Mann und es gefiel ihm so gut, dass er keine Absicht hat, nach Griechenland zurückzukehren. Das Leben verdient er sich dort selbst mit Kellnern.

Studieren und dann für ein paar hundert Euro Vollzeit arbeiten? Nicht doch. Das Studium in Berlin absolvieren und dann im Ausland Karriere machen.

Die Mutter von Lara Croft und Rambo bereitet sich im Moment darauf vor, ihren Sohn in der Studentenbude in Berlin zu besuchen. Sie war noch nie dort. Immerhin etwas für die mutige Frau.        

Das Kafenion schliesst bald. Eine junge, grossgewachsene, durchtrainierte Frau mit kurzen Haaren betritt den Raum und holt unsere Gesprächspartnerin ab. Das ist sie gewesen: Lara Croft! Sie ist gerade nicht im Einsatz, sondern auf Heimaturlaub.

Ein Blick auf die Statistik: Die Arbeitslosigkeit kam im November in Griechenland zum zweiten Monat in Folge unter der Zehnprozentmarke zu liegen. Sie erreicht den Wert von 2009 und ist damit vergleichbar mit der Zeit vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise.

2013 waren nicht weniger als 28% der Griechinnen und Griechen bei den Arbeitsämtern als arbeitslos gemeldet. Noch vor drei Jahren waren es 17%.

Mittlerweile ist es schon so, dass wie in diesen Spalten berichtet, die Arbeitskräfte im Tourismus im Sommer knapp wurden. Familienbetriebe greifen dann vor allem auf Familienangehörige zurück. Wir wurden im Sommer von einer siebenjährigen Serviererin und einem zehnjährigen Buffetmitarbeiter bedient. Das Bier, das er selbst nicht trinken darf, zapfte ein Dreizehnjähriger.

Dieser Rückgang der Arbeitslosigkeit wird zwar von der Regierung als Erfolg gefeiert, ist jedoch nicht auf ihre Verdienste zurückzuführen. Er hat eher mit der starken Auswanderung und der niedrigen Geburtenrate zu tun – ich berichtete darüber. Im Gegensatz zu Ländern wie Ungarn tut aber Griechenland nichts gegen die tiefe Geburtenrate, die schon in den Neunzigerjahren chronisch tief war. Damals gab es aber die Masseneinwanderung aus dem benachbarten Albanien. Diese Menschen, die heute praktisch vollständig assimiliert sind, sorgten dafür, dass damals die Sozialsystem nicht zusammenbrachen. Heute werden aber die ersten pensioniert. Allein im Jahr 2023 betrug der Bevölkerungsschwund 0,5%.

Insbesondere in der Landwirtschaft, also bei der Feldarbeit, in den Gewächshäusern und in den Viehzuchtbetrieben, fehlen rund 70.000 Arbeitskräfte. Vor Weihnachten passierte ein Entwurf das griechische Parlament, der die Legalisierung von rund 30’000 illegalen Migranten vorsieht, die seit mindestens drei Jahren im Land leben und arbeiten – illegal versteht sich.

Da die Regierung über eine sichere Mehrheit im Parlament verfügt, war der Gesetzesentwurf nicht gefährdet. Gegner der Massnahme, auch innerhalb der regierenden Nea Dimokratia wie der ehemalige Ministerpräsident Antonis Samaras, fürchten, dass damit noch mehr illegale Einwanderer angezogen werden. Auch die Assimilation dieser Menschen wird bedeutend schwieriger werden, da sie nicht aus benachbarten Kulturkreisen stammen.

Man würde eigentlich erwarten, dass das starke Sinken der Arbeitslosigkeit zu Lohnerhöhungen auf breiter Front führen würde. Das ist bisher nicht der Fall. Lohnerhöhungen gibt es zwar, aber diese bewegen sich weit unter der Inflationsrate von immer noch gegen zehn Prozent. Das führt zu einer weiteren Verarmung der griechischen Bevölkerung. Attraktive Arbeitsplätze bietet zum Teil der Staat – siehe Lara Croft und Rambo – und gewisse lukrative Nischen für Selbständigerwerbende. Nicht dass der Staat gut bezahlen würde, aber er bietet immerhin Arbeitsplatzsicherheit. Eine uns bekannte Lehrerin sagt es ihren Praktikanten von der Uni so: «Ergreift diesen Beruf nur, wenn ihr ihn wirklich liebt, denn man wird schlecht bezahlt. 1000 Euro ist das höchste der Gefühle. Sonst geht ihr lieber kellnern.»

Griechische Bürgerinnen und Bürger blicken deshalb pessimistisch ins neue Jahr. 87 % von ihnen gehen davon aus, dass sich ihre Lage im Jahr 2024 verschlechtern wird. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage des Eurobarometers.

EU-Schuldenregeln: Lizenz zum Schuldenmachen?

(24. Dezember 2023) Die EU-Finanzminister haben sich auf eine Reform der gemeinsamen Schuldenregeln geeinigt, die eine stärkere Berücksichtigung der individuellen wirtschaftlichen Situationen der Länder vorsieht, Investitionen und Strukturreformen fördert, und einen schrittweisen Schuldenabbau mit flexiblen Zeiträumen einführt, um «Stabilität und Wachstum» zu gewährleisten. Was gut tönt kann die Staatsfinanzen gefährden – «Greek Statistics» für alle.

Ein wichtiger Grund für den griechischen Staatsbankrott im März 2010 waren die irreführender Haushaltsstatistiken. Es wurde zum Beispiel versäumt, laufende Verteidigungsausgaben im Budget zu vermerken. Aufgrund der sehr hohen Rüstungsausgaben handelte es sich um erhebliche Beträge. Als das Haushaltsdefizit scharf nach oben korrigiert werden musste, entstand eine Vertrauenskrise, die Zinsen stiegen steil an und Hellas konnte seine Schulden nicht mehr refinanzieren. Das Land war bankrott.

Die «Greek Statistics» oder das Pippi-Langstrumpf-Prinzip

Dies führte zur Entstehung des Begriffs «Greek Statistics», Buchführung nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip («Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt»). Die Kritik an Griechenland nahm extreme Ausmasse an. Gerade in deutschen Medien überschritt sie jedes erträgliche Mass und war oft nahe am Rassismus. Dies, obwohl die Hilfsprogramme für Griechenland den deutschen Steuerzahler bisher nicht nur nichts gekostet, sondern kräftige Einnahmen beschert haben.

Sollte man vielleicht nun die Griechen um Entschuldigung bitten? Die EU will nämlich «Greek Statistics» für die gesamte EU einführen.

Um im Wettrüsten mit Russland mitzuhalten, haben sich die EU-Finanzminister auf eine Reform der gemeinsamen Schuldenregeln geeinigt, wie von der spanischen EU-Ratspräsidentschaft auf der Plattform X (ehemals Twitter) bekannt gegeben wurde. Die Einigung wird als Schutz für «Stabilität und Wachstum» betrachtet, muss jedoch noch von den einzelnen Ländern angenommen und mit dem EU-Parlament verhandelt werden.

Die Reform sieht vor, dass die individuellen wirtschaftlichen Situationen der Länder stärker bei den Vorgaben zur Staatsverschuldung berücksichtigt werden sollen. Der deutsche Bundesfinanzminister Christian Lindner bezeichnet die neuen Fiskalregeln als realistischer und wirksamer, da sie klare Ziele für niedrige Defizite und sinkende Schuldenquoten mit Anreizen für Investitionen und Strukturreformen verbinden.

Die Einigung basiert auf einem deutsch-französischen Vorschlag, auf den sich die Finanzminister Bruno Le Maire und Christian Lindner geeinigt hatten. Zuvor hatten Deutschland und Frankreich in der Debatte unterschiedliche Positionen eingenommen. Der Vorschlag beinhaltet effektivere Richtlinien für den Abbau von Haushaltsdefiziten und Staatsverschuldung, wobei Investitionen und Strukturreformen stärker berücksichtigt werden sollen.

Ab 2025 sollen Schuldenwerte in Zeiträumen von vier oder in Ausnahmefällen sieben Jahren stetig abgebaut werden. Dieser längere Zeitraum gilt für Staaten, die bestimmte Reformen oder Investitionen durchführen, die den Prioritäten der EU entsprechen. Die individuellen Pläne für den Schuldenabbau werden mit der EU-Kommission ausgehandelt.

Die Einigung wird heute von den Medien als positive Nachricht für Europa betrachtet, da sie gesunde öffentliche Finanzen und Zukunftsinvestitionen garantieren soll.

Die bisherigen Schuldenregeln des Maastricht-Vertrages, die eine Obergrenze von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung für Staatsschulden und Defizite von weniger als drei Prozent vorsehen, wurden oft nicht eingehalten. Die neuen Vorgaben bieten mehr Flexibilität, während beide Kennzahlen beibehalten werden.

Aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise und des russischen Krieges gegen die Ukraine wurden die bisherigen Regeln bis 2024 ausgesetzt. Eine Rückkehr zu den alten Vorgaben könnte die wirtschaftliche Entwicklung gefährden, weshalb nun ein Minimum von nur noch einem Prozentpunkt pro Jahr für den Schuldenabbau vorgeschlagen wird. Die neuen Vorgaben sollen voraussichtlich vor der EU-Parlamentswahl im Juni 2024 beschlossen werden.

Chatzidakis triumphiert

Ist das aber tatsächlich die positive Nachricht des Tages, als die sie verkauft wird? Zweifel sind angebracht. Denn obwohl die EU das nicht offen sagt, gelten auch Verteidigungsausgaben als Investitionen. Selbst wenn sie sich niemals rechnen oder einen Gewinn abwerfen und auf Pump finanziert werden. Die entsprechenden Schulden werden aber irgendwann bezahlt werden müssen – von der nächsten oder der übernächsten Generation. Und in der Zwischenzeit werden Zinsen und Zinseszinsen fällig.

Der griechische Finanzminister Kostis Chatzidakis freut sich darüber, dass seine hohen Verteidigungsausgaben nun Investitionen sind und nicht mehr in die Defizit- und Schuldenberechnung der Währungsunion einfliessen. Er brachte es auf den Punkt: «Allem Anschein nach gibt es einen Konsens für die schon seit langem von Griechenland geäusserte Forderung, die Verteidigungsausgaben aus dem Verfahren des exzessiven Haushaltsdefizits herauszunehmen.»

Die Lehren sind vergessen

Die Lehren aus dem griechischen Staatsbankrott scheinen vergessen: Kein Land sollte sich in Versuchung führen lassen, politische Notstände durch unehrliche Buchführung zu beheben.

Griechenland will die Digitalisierung der Verwaltung vorantreiben – Kampf dem Bargeld

(8. Dezember 2023)

Die griechische Regierung unter dem Minister für digitale Verwaltung, Dimitris Papastergiou, plant bis 2027 eine umfassende Digitalisierung der öffentlichen Dienste. Ein zentraler Schritt dabei ist die Einführung einer einmaligen persönlichen Identifikationsnummer für Bürger, die auf den neuen Personalausweisen erscheinen wird. Diese Nummer wird bei allen Transaktionen mit dem öffentlichen Sektor verwendet und soll verschiedene bestehende Nummern, wie die Steuernummer, ID-Nummer und Passnummer, vereinheitlichen.

Die digitale Transformation umfasst auch die Abschaffung von vielen erforderlichen Bescheinigungen und den Austausch von Informationen zwischen den Behörden über die gov.gr-Brieftasche. Das Ziel ist, die Bürokratie zu reduzieren und den Bürgerinnen und Bürgern das Leben zu erleichtern.

Die Digitalisierung erstreckt sich auch auf verschiedene Sektoren wie Justiz, Gesundheit und Grossprojekte wie ultraschnelles Breitband.

Die griechische Regierung prüft auch die Einführung von künstlicher Intelligenz (KI), wobei KI-Tools in Bereichen wie Katastrophenschutz, Justiz und Gesundheit einen Beitrag leisten sollen.

Griechenland strebt zusätzlich an, ein attraktiver Standort für Technologieinvestitionen zu werden. Die Einrichtung von Datenzentren und Infrastrukturprojekte wie ein Supercomputer mit dem sprechenden Namen «DÄDALOS» sind Teil dieser Bemühungen.

Im Kampf gegen Steuerhinterziehung setzt die Regierung auf technologische Lösungen wie die Verknüpfung von Bezahlterminals mit Registrierkassen und die Einführung der elektronischen Rechnungsstellung. Sozialhilfezahlungen sollen schrittweise auf digitale Guthabenkarten umgestellt werden, unterstützt durch Finanzierungshilfe aus dem EU-Wiederaufbaufonds. In einem ersten Schritt sollen die Empfänger dazu genötigt werden, mindestens die Hälfte ihrer Stütze mittels elektronischer Transaktionen auszugeben.

Die griechische Regierung befindet sich seit Jahren, ermutigt von der EU, auf einem Feldzug gegen das Bargeld. Dadurch soll die Steuerhinterziehung bekämpft werden. Es gilt eine Obergrenze für Barzahlungen von 500 Euro. Diese wurde nur deshalb nicht noch weiter abgesenkt, weil die Europäische Zentralbank Einwände erhob. Denn eine noch niedrigere Grenze hätte bedeutet, dass der 500-Euro-Schein in Griechenland kein gesetzliches Zahlungsmittel mehr wäre. Die EZB hat zwar auf Druck aus den USA die Ausgabe neuer 500-Euro-Noten eingestellt; die schon in Umlauf befindlichen bleiben jedoch gesetzliches Zahlungsmittel.

Vor Griechenland hatte bereits die frühere australische Regierung die Sozialhilfe auf Bezahlkarten umgestellt, die nur bei bestimmten Annahmestellen eingelöst werden konnten und Käufe von Alkohol und anderen als schädlich eingestuften Gütern ausschlossen. Eine Untersuchung zeigte grosse Nachteile für die Betroffenen, ohne positive Wirkungen auf den Alkoholismus. Die Massnahme wurde durch die gegenwärtige Regierung wieder abgeschafft.

Ob diese hochtrabenden Projekte tatsächlich fliegen werden, wird sich zeigen. Es wird sich auch weisen, ob sie tatsächlich im Sinne des Bürgers sind. Die griechische Bürokratie hat eine verhängnisvolle Tendenz, den Bürger zu gängeln und ihn als Bittsteller zu behandeln. An der korrupten Elite will sie sich allerdings nicht die Finger verbrennen. Gleichzeitig werden Dinge wie Datenschutz und Grundrechte oft pragmatisch gesehen, als einen durchaus wünschbaren Luxus, auf den man wenn es passt auch einmal verzichten kann.

Ohrfeige im zweiten Wahlgang

Im zweiten Wahlgang der Regional- und Kommunalwahlen kam die Ohrfeige für die griechische Regierungspartei. Wie geht es nun weiter in Griechenland?

Die in Griechenland regierende Nea Dimokratia (ND) hatte am Sonntag (15.10.) bei den Stichwahlen für Kommunal- und Regionalverwaltungen einen schlechten Tag. Die von ihr unterstützten Kandidaten verloren in den grössten Städten des Landes, Athen und Thessaloniki. Besonders schmerzhaft war die Niederlage in Athen, wo Kostas Bakojannis, ein Neffe des Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, gegen den von der sozialdemokratischen PASOK unterstützten Charis Doukas verlor.

Wahlabstinez und Zusammenarbeit von SYRIZA und PASOK

Das schlechte Abschneiden der ND wurde teilweise auf das Krisenmanagement der Regierung bei Überschwemmungen und Waldbränden zurückgeführt. Von den bisher dreizehn von den Konservativen kontrollierten Regionen verloren sie fünf an die Opposition. In der Region Thessalien erzielte ein von PASOK und der Radikalen Linken (SYRIZA) unterstützter Kandidat einen klaren Sieg.

Die Wahlen waren jedoch von einer hohen Enthaltung geprägt, mit einer Beteiligung von nur etwas mehr als 35 Prozent bei den Regionalwahlen und knapp 42 Prozent bei den Kommunalwahlen. Nur 22 von 332 Gemeinden wählten Frauen zu Bürgermeisterinnen.

Beobachter vermuten, dass in Zukunft eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den linken Parteien PASOK und SYRIZA möglich ist, möglicherweise sogar eine Oppositionsfront. Das schlechte persönliche Verhältnis zwischen dem bisherigen SYRIZA-Vorsitzenden und ehemaligen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras und PASOK-Chef Nikos Androulakis hatte das bisher verhindert.

Neuer SYRIZA-Chef aus Amerika

Bemerkenswert am neuen SYRIZA-Chef sind Herkunft und Wahl. Es handelt sich um einen 35-jährigen, reichen Amerika-griechischen Investment Banker mit einer Karriere an der Wall Street. Von ihm sind Schriftstücke überliefert, in denen er Lohnkürzungen und Entlassungen forderte. Wie das zur radikalen Linken in Griechenland passt, ist unklar. Auch ein Programm scheint Stefanos Kasselakis noch nicht zu haben.

Auch die Umstände seiner Wahl sind bemerkenswert. Mehr als 60’000 grösstenteils neu eingetragene Mitglieder stimmten für ihn. Die erfahrenen Politiker und altgedienten Parteimitglieder hatten das Nachsehen bei diesem für Manipulationen dieser Art anfälligen innerparteilichen Wahlsystem. Sicher ist, dass er die Notwendigkeiten in der griechischen Politik möglicherweise anders beurteilt als gestandene Politiker oder Durchschnittswähler. Der offen homosexuell lebende Kasselakis wird vermutlich versuchen, die LGBT-Agenda in Griechenland einzubringen, anstatt sich um die realen Probleme des Landes zu kümmern. Er hat schon angekündigt, dass er mit Hilfe einer Leihmutter zwei Kinder haben möchte. Nun muss er aber erst eine zweiwöchige Schnellbleiche in der Armee absolvieren, da er den obligatorischen Militärdienst verpasst hat. Ein weiterer Nachteil für den neuen Parteichef besteht darin, dass er nicht im Parlament vertreten ist.

Wo ist die Opposition?

So wird es vermutlich trotz Ohrfeige bei den Regionalwahlen in Hellas weitergehen wie bisher: Die ND regiert praktisch ungestört und ohne Opposition. Die Medien sind auf Regierungslinie, die Menschenrechte und die Unabhängigkeit der Justiz werden pragmatisch gesehen – Griechenland liegt in dieser Hinsicht in Ratings weit hinter zum Beispiel Ungarn und Polen – und die Opposition äusserte und äussert sich praktisch nicht zu Themen wie fehlgeleitete Pandemiepolitik, Inflation und Verarmung des Mittelstandes, Arbeitskräftemangel infolge Geburtenrückgang und Auswanderung, fehlgeleitetes Krisenmanagement bei Waldbränden und Überschwemmungen sowie eine perverse Energiewende-Umsetzung, die auf Windräder setzt, die das Landschaftsbildes verschandeln und Wälder zerstört. Zusätzlich scheinen auch unter dem Deckmantel der Digitalisierung der Datenschutz und die Privatsphäre zu erodieren. 

Es ist der couragierte Chef der im Parlament vertretenen «Unabhängigen Griechen» Kyriakos Velopoulos, der inoffiziell die Rolle des Oppositionsführers spielt. Velopoulos interveniert im Parlament, stellt Fragen, formuliert Anträge – wie das ein Oppositionsführer tun sollte. Wenig davon ist erfolgreich, weil die anderen Oppositionsparteien entweder im Tiefschlaf versunken scheinen oder andere Sorgen haben, als der Regierung auf die Finger zu schauen.

Regierungsprogramm für die zweite Amtszeit

In seiner zweiten Amtszeit als Premierminister setzt Kyriakos Mitsotakis denn auch verstärkt darauf, Zentrumswähler und rechte Wähler gleichermassen anzusprechen. Sein Regierungsprogramm konzentriert sich auf Primärüberschüsse, Investitionen, Steigerung der Exporte und Senkung der Arbeitslosenquote. Gleichzeitig sollen Löhne und Gehälter erhöht, die Gesundheits- und Bildungssektoren durch Privatisierungen gestärkt und die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sowie die Energiewende vorangetrieben werden. Mitsotakis verspricht auch aussenpolitische Stabilität und die Umsetzung bereits vereinbarter Rüstungsprogramme. Dem Arbeitskräftemangel und dem Bevölkerungsschwund will er entgegentreten, indem er nicht weniger als 300’000 Asylsuchende in den Arbeitsprozess integriert.

Mitsotakis kann es sich leisten, der zersplitterten Opposition wenig Beachtung zu schenken und vor populistischen Exzessen zu warnen. Mitsotakis dürfte daher weniger Sorgen durch die Opposition als vielmehr durch mächtige Oligarchen bereitet werden, die zunehmend wirtschaftliche und mediale Macht an sich ziehen. Dies könnte zu Konflikten und Kritik führen und stellt eine grössere Bedrohung dar als die Oppositionsparteien im Parlament.

Beziehungsstatus: es ist kompliziert

Nach einer kleinen Eiszeit sind über den Sommer kleine Zeichen der Annäherung zwischen Griechenland und der Türkei sichtbar.

Während sein Partner, der aserische Herrscher Alijew Bomben über der armenischen Enklave Bergkarabach regnen liess, was zur Vertreibung der dortigen autochthonen armenischen Bevölkerung führte, sass der türkische Präsident Erdogan beim Gespräch mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis.

Wie kommt es, dass es in zwei Konflikten, an denen die Türkei Anteil hat, sehr unterschiedlich zugeht.

Es waren schöne Bilder für die Presse, wie Mitsotakis und Erdogan am Rande der UNO-Generalversammlung Gespräche führten.

Am 5. September fand bereits zur Vorbereitung ein Treffen zwischen dem griechischen Aussenminister Georgios Gerapetritis und seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan in Ankara statt. Dieses Treffen wurde bereits im Juli am Rande des NATO-Gipfels vorbereitet.

Zusätzliche Gespräche sollen Ende des Jahres in Thessaloniki stattfinden, wo der griechisch-türkische Kooperationsrat tagen wird.

Die Gespräche zielen darauf ab, das bilaterale Vertrauen zu stärken und Themen wie Handel, Wirtschaft, Tourismus und Wachstum zu diskutieren. Die Hauptstreitpunkte, die Ausschliessliche Wirtschaftszone in der Ägäis, bei dem Griechenland auf die Einhaltung des internationalen Rechts und des Seerechts besteht, und Zypern, werden vorläufig noch ausgelassen.

Die strategische und politische Bedeutung der Türkei ist in den letzten Jahren extrem gewachsen. Das Land ist vom einfachen NATO-Partner zu einer Mittelmacht geworden, der man nicht einfach vorschreiben kann, was sie zu tun und zu lassen hat – zum Beispiel Russland zu boykottieren. Nach dem gescheiterten Militärputsch von 2016 unternahm das Land Schritte, seine aussenpolitische Position zu festigen.

Zwei Komponenten der türkischen Strategie

Eine Komponente dieses strategischen Denkens ist die Doktrin des sogenannten «blauen Vaterlandes». Sie wurde schon 2006 vom türkischen ehemaligen Konteradmiral und Leiter des Planungsstabes der türkischen Marine in Ankara, Cem Gürdeniz entworfen und will die Türkei zur Seemacht mit Einfluss auf die angrenzenden Meere umgestalten, was mit den völkerrechtlichen Ansprüchen Griechenlands und Zyperns in Konflikt steht.

Die andere Komponente ist der 1989 vom damaligen Präsidenten Turgut Özal konzipierten Plan mit der Türkei als Brücke zwischen Europa, Asien und dem Nahen Osten. Es geht dabei nicht mehr nur um Erdgas, sondern auch und vor allem um geostrategische Machtpolitik.  

Hier Krieg, da Entspannung

Die Konflikte im östlichen Mittelmeer flammten in den letzten Jahrzehnten immer wieder auf. Nicht dass die Friedensverträge am Ende des Ersten Weltkrieges die Grenzen nicht klar bestimmt hätten, aber implizit auf das Recht des stärkeren pochend versuchte die Türkei seit dem Frühling 2020 vollendete Tatsachen zu schaffen. Flugzeuge und Schiffe verletzten fast tägliche den griechischen Luftraum und die Küstengewässer dieses Landes. Griechenland, sich auf das internationale Recht berufend, hoffte auf eine wirksame Unterstützung seiner Partner der EU und der NATO – vorerst vergeblich. 

Nun zeigt es sich, dass die Türkei auf der einen Seite – im Kaukasus – vor den Augen der Weltöffentlichkeit, die wegen der krassen Überlegenheit der Aseris keine Eskalation fürchten musste, ungehindert ihre Ambitionen mit Hilfe des aserischen Brudervolkes mit Gewalt durchsetzt. Dies geschieht auf Kosten einer armenischen Bevölkerung, die seit tausenden von Jahren dort ansässig ist und, um der Vertreibung zuvorzukommen, flüchtet. Ob der Appetit gestillt ist? Zweifel sind angebracht, denn immer noch liegt Armenien wie ein Sperrriegel zwischen der Türkei und Aserbaidschan.  

Auf der anderen Seite, in der Ägäis, scheint sich die Situation seit diesem Frühjahr zu entspannen und das ist etwas, was ich – ich gebe es gerne zu –nicht erwartet habe. Die Gründe dafür sind nicht klar; aber man darf spekulieren.

Mögliche Gründe

Die verbesserten Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei könnten wirtschaftlich motiviert sein. Die Türkei hat finanzielle Probleme. Wirtschaftliche Zusammenarbeit ist willkommen. Und die Bodenschätze in der Ägäis lassen sich besser in Zusammenarbeit und nicht gegen den Nachbarn ausbeuten.

Deutschland bemüht sich aktiv um eine Lösung der Spannungen im östlichen Mittelmeer. Berlin hat die Gesprächskanäle zwischen Griechenland und der Türkei diskret und hinter verschlossenen Türen wieder geöffnet.

Das ist neu und war nicht zu erwarten: Seit den Zeiten des Imperialismus, als Deutschland seinen Einfluss nach Osten, Südosten und auf den Nahen Osten ausdehnen wollte galt, dass eine Aussenpolitik ohne die Türkei als wichtigen Partner nicht zu konzipieren sei. Eine Vermittlungstätigkeit hat da nicht gepasst und Deutschland war immer dabei, wenn es galt der Türkei Narrenfreiheit zu gewähren, zum Beispiel in Bezug auf den Genozid an den Armeniern 1915 oder die Vertreibung der Griechen aus Kleinasien. Dies ist ein bemerkenswerter Paradigmawechsel, dessen Gründe aber noch im Dunkeln liegen.

Die «Erdbebendiplomatie» hat dann das Tauwetter weiter gefördert. Es waren die Griechen, die im Frühling zuerst in der Erdbebenregion der Türkei ankamen. Sie halfen schnell und unbürokratisch. Man sah die beiden Aussenminister nebeneinander die zerstörten Gebiete inspizieren, was noch Monate vorher undenkbar war.

Ein grosser Unterschied zwischen Armenien und Griechenland besteht einfach in der Tatsache, dass Griechenland militärisch kein Nobody ist. Was das Resultat eines Waffengangs ist, lässt sich nicht voraussehen. Sicher ist nur, dass das Resultat nicht vorhersehbar und das Eskalationspotenzial erheblich ist.

Es ist gut möglich, dass sich in einigen westlichen Hauptstädten deshalb die Einsicht durchgesetzt hat, dass diese Bombe entschärft werden muss. Vielleicht ist also die Initiative Deutschlands und die «Erdbebendiplomatie» Teil eines Planes, die Spannungen in der Ostägäis abzubauen.

Die NATO und Griechenland vereinbarten in der ersten Legislatur der Regierung Mitsotakis eine neue NATO-Basis auf griechischem Boden. Diese Basis bringt Griechenland nichts, weil der NATO-Vertrag vorsieht, dass ein Krieg unter zwei NATO-Ländern kein Bündnisfall darstellt. Es wurde nicht bekannt, dass Griechenland für die Duldung dieser Basis auf seinem Boden eine Gegenleistung erhält. Oder ist vielleicht hinter den Kulissen doch etwas vereinbart worden?

Und zu guter Letzt sind sowohl in Griechenland wie in der Türkei die Wahlen vorbei und die jeweiligen Leader sitzen wieder fest im Sattel.

Es gibt also wieder Hoffnung auf eine konstruktive Lösung der Probleme in der Region. In Griechenland stehen aber nun Lokalwahlen an und der Fokus liegt auf Innenpolitik.

Unwetter «Daniel»: Nach den Waldbränden die Überschwemmungen (16. September 2023)

Regenfälle fordern in Griechenland mindestens 15 Menschenleben und vernichten 5% der Wirtschaftsleistung. Wie konnte das passieren?

Ich wollte mir zuerst ein Bild machen, bevor ich mich zu einem Thema äussere, das von den hiesigen Medien behandelt, aber von kaum einem Journalisten wirklich verstanden wird: das Unwetter Daniel – ich muss wohl meinen Namen ändern, bevor ich das nächste Mal nach Hellas reise.

Ich war im Sommer Norden der Insel Euböa, wo es vor zwei Jahren gebrannt hat. Auf dutzenden von Kilometern trafen wir verbrannte Erde an, aber auch frisches Grün, das aus der Asche spross. «Was wir jetzt gar nicht brauen, sind Regenfälle, die Erosion begünstigen,» dachte ich; auch angesichts der schrecklichen Waldbrände am Evros-Fluss.

Und trotzdem ist es passiert. Es ist nicht ungewöhnlich, dass das Wetter anfangs September schon umschlägt und der Regen einsetzt. Ungewöhnlich war die Heftigkeit des Zyklons und die Regenmenge. Vor allem die thessalische Ebene ist betroffen. Aber auch die Stadt Volos und das angrenzende Pilion-Gebirge.

Ausserhalb des Städtchens Karditsa brachen zwei Dämme; kurze Zeit später standen ganze Dörfer unter Wasser. Bilder zeigen vielerorts nur noch die Dächer von Häusern, von anderen ist gar nichts mehr zu sehen. Teilweise wurden Häuser komplett mitgerissen. Die Sachschäden sind kaum zu überblicken. Vielerorts wurde die Infrastruktur komplett zerstört: Betroffen sind Brücken, Strassen, aber auch Ställe und landwirtschaftliche Nutzfläche. Die Zahl der Nutztiere, die in den Fluten den Tod fanden, wird auf Zigtausende geschätzt. Viele Menschen in der Region – vor allem auch viele Bauern – stehen buchstäblich vor dem Nichts. Es wird geschätzt, dass insgesamt etwa 720.000 Hektar Land überflutet wurden und das in einer Region, die bei vielen landwirtschaftlichen Erzeugnissen den ersten Platz unter den Regionen Griechenlands einnimmt.

Fünf Prozent des BIP vernichtet

8 Milliarden Euro sind es nach ersten Schätzungen, 5 % des griechischen Bruttoinlandproduktes (BIP), also der Wirtschaftsleistung. Sie gingen buchstäblich den Bach runter. Die Baumwoll- und Maisernte fällt praktisch total aus.

Die Regierung hat sich jetzt zum Ziel gesetzt, rasch ein Verzeichnis der Betroffenen zu erstellen, damit im Oktober die ersten Entschädigungszahlungen geleistet werden können.

Es ist nicht so, dass das das erste Unwetter wäre, das Thessalien heimsucht. Der Sturm Janos vor drei Jahren war etwa dreimal weniger stark als Daniel.

Betroffene berichten, dass sie auf die zweite Rate der Entschädigungszahlungen erst drei Jahre später erhielten; deshalb ist klar, dass es da Verzögerungen geben wird. Die Menschen wissen, dass sie die Ankündigungen der Regierung nicht wörtlich nehmen sollten.

Die thessalische Ebene ist nicht allerdings nicht tot, sagen die Wissenschafter.  Flächen, die einfach nur überflutet wurden, können nach der Entwässerung sofort bewirtschaftet werden, während die mit Schutt vermischten Flächen unter bestimmten Bedingungen bebaubar sind.

„100 % der Fläche werden sich sicherlich nach 2 bis 3 Jahren weitgehend erholen“, sagt der Dekan der Fakultät für Landwirtschaft der Universität Thessalien, Nikos Danalatos, und fährt fort: „Lediglich bei Böden, die eine sehr tiefe Schichtdicke aufweisen, wird die Produktion beeinträchtigt“.

Die Schäden an Vieh, Einheiten und Geräten sind allerdings enorm.

Demonstranten in Larissa zusammegenknüppelt

Als Ministerpräsident Mitsotakis die Katastrophenregion besuchen wollte, wurde er durch Demonstranten empfangen. Es waren nicht die üblichen Verdächtigen: Berufsradaubrüder, Linksextreme und Anarchisten, sondern Bürger, insbesondere Bauern, nicht vor dem Nichts stehen und dem Ministerpräsidenten ihre Beschwerden vorbringen wollte. Aber anstatt sich die Beschwerden anzuhören, liess der Ministerpräsident die Demonstration wie in Hellas üblich durch Gewalt, Tränengas und Knüppeln auflösen.   

Wer ist Schuld? Der Klimawandel?

Mit den Überschwemmungen kam sofort die Debatte nach den Schuldigen. Die Regierung reagierte so, wie sie zu reagieren pflegt. In seinem grenzenlosen Zynismus, der den Zögling einer reichen Politikerfamilie und den «fils à papa», der nie sein eigenes Geld verdienen musste, auszeichnet, gab Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis die Schuld wieder dem Klimawandel. Die Griechen sollen den traditionellen Sommer ohne Niederschläge von Mai bis Oktober vergessen, in Zukunft würden Unwetter und Brände dazugehören – das sei halt so, wegen des Klimawandels.

Während das bei den katastrophalen Waldbränden eindeutig eine Schutzbehauptung dafür war, dass die Regierung das Phänomen der Brandstiftung und der menschlichen Nachlässigkeit nicht in den Griff bekommt, fällt die Antwort hier differenzierter aus.

 «Was wir im Sommer 2023 mit der Hitzewelle und in diesen Tagen mit dem Zyklon Daniel erlebt haben, ist so selten, dass wir es erst in 300-400 Jahren wieder sehen werden», erklärt Christos Zerefos, emeritierter Professor der Abteilung für Geologie der Universität Athen.

Zerefos erklärte, dass Zyklon Daniel dreimal so hohe Niederschlagsmengen brachte wie Zyklon Janus im Jahr 2020, und dass der Klimawandel zu einem häufigeren Auftreten von Phänomenen wie Stürmen und Hitzewellen führen kann. Trotzdem erklärte er, dass ein Unwetter der Stärke von Daniel erst in 300 – 400 Jahren wieder zu erwarten sei, dass die Griechen aber in Zukunft öfters mit ähnlichen, aber schwächeren Wetterphänomenen leben müssten.

Die Ursache des Phänomens, so der Wissenschaftler, «ist die in diesem Jahr beobachtete Erwärmung der Meere». Damit würde mehr Feuchtigkeit an die Umgebung abgegeben und das würde dann zu Niederschlägen führen, wie wir sie in der Vergangenheit nicht beobachtet haben.

Also doch der Klimawandel? Nicht ganz!

Es fällt auf, dass es sich bei hauptbetroffenen Region Thessalien um ein ehemaliges Sumpfgebiet handelt, das im 19. Jahrhundert unter dem damaligen Ministerpräsidenten Charileos Trikoupis trockengelegt und fruchtbar gemacht wurde. Da war also früher einmal Wasser. Und Ställe, Bauernhöfe und Dörfer wurden dann in der Nähe des nunmehr fruchtbaren Ackerlandes gebaut. 

Eine ähnliche Entwicklung hat die Region Athen durchgemacht, wo Bäche und Flüsse in den Untergrund verbannt und Flächen trockengelegt und überbaut wurden.

Thessalien ist also geradezu prädestiniert für Hochwasser. Aber: Gabe es Hochwasserschutzmassnahmen? Gab es einen Mechanismus, wie damit umzugehen ist. Nein, das alles gab es alles nicht.

Überschwemmungen gab es schon früher im Laufe der Jahrhunderte; aber damals hatte die Natur vorgesorgt, zum Beispiel in Form von Schwemmebenen. Nun hat der Mensch mit seinen ständigen Eingriffen dem Wasser die Fluchtwege verschlossen. Das Ergebnis sind Flutkatastrophen.

Der Klimawandel kann also dazu beigetragen haben, dass der Regen diesen Herbst früh und stark gekommen ist, aber er ist vor allem ein Vorwand, um die Inkompetenz des Staates zu rechtfertigen.

Griechenland ist diesen Sommer erneut von Bränden heimgesucht worden, Wälder von grosser ökologischer Bedeutung wurden zerstört. Die Regierung entzieht sich wieder der Verantwortung und sucht eine Begründung.

Der wahre Grund dafür, dass sich die Regenfälle zur Katastrophe ausweiteten, ist: die Regierung Mitsotakis handelte nicht so, wie sie sollte. Nach dem Unwetter von Anfangs 2020 hätte man gewarnt sein sollen. Wasserbaumassnahmen wurden für Thessalien vorgesehen und versprochen, aber nie realisiert.

Es wird also nicht nur notwendig sein, Katastrophenschutzprogramme aufzusetzen, sondern auch eine Neugestaltung aller Gefahrenkarten.

In der Zwischenzeit hat der griechische Ministerpräsident bei der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein grosses finanzielles Unterstützungspaket beantragt.

Vielleicht kommt ja etwas bei den betroffenen Bauern an.

Dumme Bemerkung: Minister Varvitsiotis zurückgetreten

Die griechische Regierung gibt im Moment auch aus anderen Gründen ein schlechtes Bild ab. Wenn man bedenkt, dass im Oktober Lokalwahlen anstehen, sollte das beunruhigen. Am Dienstag der Vorwoche war ein Mann beim Versuch, in letzter Minute in Piräus an Bord einer Fähre zu gelangen von einem Besatzungsmitglied von der noch offenen Ladeklappe brutal ins Wasser gestossen worden. Das Opfer ertrank in den Wellen, die durch die Schiffsschraube bei der Abfahrt verursacht wurden. Niemand eilte ihm zu Hilfe. Der Kapitän und drei Mitglieder der Besatzung wurden daraufhin festgenommen.

„Wir trauern um das unglückliche Opfer, wir betrauern aber auch jene, die ihre Arbeit machten“, war der erste Kommentar von Marineminister Miltiadis Varvitsiotis. Nach einem Proteststurm in der Öffentlichkeit trat er nun zurück.

Offensichtlich schützte die Tatsache, dass Varvitsiotis ebenfalls ein Abkömmling einer mächtigen und einflussreichen Politikerdynastie ist, überhaupt nicht vor Dummheit und fehlender Sensibilität.

Investment Grade ante portas

Die Tatsache, dass die griechischen Staatsanleihen nun wieder über einen Investment Grade verfügen, wird von der griechischen Regierung an die grosse Glocke gehängt. Damit sind die hellenischen Staatsschulden nicht mehr Ramsch.

Was die Regierung nicht sagt: die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und die Tatsache, dass der Schuldenberg im Verhältnis zum BIP schmilzt rührt massgeblich daher, dass die Inflation, die gegenwärtig wieder bei 11% liegt, diesen Schuldenberg auffrisst. Die Sanierung erfolgt auf dem Buckel der Armen und der Mittelklasse.

Streiflichter eines Sommers (Bern, 3. September 2023)

Der griechische Sommer geht seinem Ende entgegen. Wir sind wieder in der Schweiz und ziehen Bilanz.

Der Tourismus in Griechenland wächst. Ausländische Prominenz macht auch weniger bekannte Inseln wie Sifnos und Folegandros bekannt und ausländische Medien entdecken das wahre Griechenland.

Nummer eins bei den Ankünften sind in diesem Jahr die Briten.

Attraktives Athen

Ein kürzlich erschienener Artikel in der New York Times zeigt ein attraktives Athen „mit den Augen der Einheimischen“, während der Guardian einen ausführlichen Bericht über die zeitgenössische Kultur und die Veranstaltungen des Athens Festival veröffentlicht, das während Sommersaison blüht. In der französischen Vogue heisst es, dass Griechenland, das „Top-Sommerreiseziel“, einige der schönsten Strände der Welt hat, die den meisten Menschen, selbst den Einheimischen, unbekannt sind.

Athen und Thessaloniki werden dabei nicht nur als Übernachtungsstationen präsentiert, sondern als eigenes, attraktives Ziel für Ausländer.

Der jüngste NYT-Artikel von Anfang August hebt die Athener Stadtteile Metaxourgeio und Kypseli hervor, ein kreatives, multikulturelles Gebiet. In den ersten heissen Tagen der Hitzewelle geschrieben, weist der jüngste NYT-Artikel darauf hin, dass „Griechenlands Hauptstadt mit ihrer glorreichen Vergangenheit und ihrem frenetischen modernen Lebensstil“ eine beeindruckende Besuchererfahrung ist.

Die Autorin betont auch Unterhaltungs- und Vergnügungsmöglichkeiten wie Freiluftkinos, wobei sie auf das schöne Kino in Thiseio verweist.

Der Artikel erwähnt auch weniger bekannte Museen wie das neue Alekos Fassianos Museum oder die Rebecca Kamchi Gallery.

Eine Reihe von Publikationen, wie z. B. der Guardian, loben Griechenland für die Qualität und Vielfalt der Theateraufführungen und die Möglichkeit für Besucher, ausländische und griechische Produktionen mit Untertiteln in den historischen Theatern des Landes zu sehen. Der britische Autor des Artikels verweist insbesondere auf das Athen- und Epidaurus-Festival und seine künstlerische Leiterin Katerina Evanggelatou, und insbesondere auf das monumentale Theater von Epidaurus aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., mit einer Kapazität von fast 10.000 Personen, wie der Artikel hervorhebt. Das Festival scheint seit 2019, als Katerina Evanggelatou die künstlerische Leitung übernahm, radikal erneuert worden zu sein.

Was aber ist der Grund für diese positive journalistische Berichterstattung über das kulturelle Leben nach so vielen Jahren negativer oder unvollständiger Publizität? Wahrscheinlich liegt es daran, dass immer mehr ausländische Redaktoren sich für einige Zeit in Griechenland aufhalten und ihre Artikel nicht in den Büros ihrer Zeitungen schreiben.

Diesen Trend verschlafen haben hingegen die Schweizer Medien.

Boomender Tourismus

Im Zeitraum Januar-Juni 2023 stiegen die Ankünfte um 26,0 %. Insbesondere der Reiseverkehr über Flughäfen nahm um 19,4 % zu, während die Einreise über die Strasse um sage und schreibe 52,8 % stieg.

Im Berichtszeitraum nahm der Reiseverkehr aus den EU-27-Ländern um 21,8 % gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2022 zu, während der Reiseverkehr aus Nicht-EU-27-Ländern sogar um 32,4 % zunahm.

Was die Länder ausserhalb der EU-27 betrifft, so nahm der Reiseverkehr aus dem Vereinigten Königreich um 6,3 % zu und derjenige aus den Vereinigten Staaten um nicht weniger als 62,7 %. Der Reiseverkehr aus Russland schliesslich ging um 16,8 % zurück. Die Einnahmen aus dem Tourismus stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 23,9 %.

Die meisten Touristen kamen in der ersten Jahreshälfte 2023 aus Grossbritannien, und zwar mit grossem Abstand zu den deutschen Touristen, die an zweiter Stelle stehen. Frankreich, Italien und überraschend Polen vervollständigen die Top Five.

Kommen wir zu den Besonderheiten dieses Sommers. Wir werden nicht auf die langfristigen Probleme wie Bausünden oder Abfallmanagement der Inseln eingehen, sondern uns auf grosse Probleme dieses Jahres konzentrieren.

Die Badetuch-Bewegung

Das erste ist die illegale Besetzung von Stränden durch … Geschäftsleute, die einen Teil der Strände von den Gemeinden gepachtet haben, aber ihre Liegen, Tische und Schirme unkontrolliert ausbreiten, so dass sie den gesamten Strand besetzen und für die Benützung Geld kassieren. Sie hindern so die Bürger, die nicht zahlen daran, eine der grössten Freuden des Sommers zu geniessen, nämlich das Sonnenbaden, Lesen und Spielen an den griechischen Stränden, zu denen alle per Gesetz freien Zugang haben. Dieses Problem besteht schon seit vielen Jahren in einem solchen Ausmass, dass sich viele Menschen fragen, ob die Strände privat oder öffentlich sind. Mit anderen Worten: Es wurde eine Situation geschaffen, die in der Praxis das Gesetz aushebelt. Die ganze Angelegenheit wurde durch einige Aktivisten auf Paros bekannt, die mit Badetüchern in der Hand den Strand zurückeroberten.

Diese konzertierte Aktion breitete sich auf Naxos, Serifos und viele andere Inseln aus, und reichte bis nach Chalkidiki. Sie rief sogar den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs auf den Plan, der eine dringende Erklärung abgab, in der er betonte, dass „gemäss der Verfassung die Strände und das Meeresufer öffentlich sind, d. h. frei zugänglich und zur öffentlichen Nutzung“ und damit den Aktivisten den Rücken stärkte.

Die Aktivisten haben einen durchschlagenden Sieg gegen willkürliche Ladenbesitzer, Hoteliers und andere Tourismusunternehmer errungen, der zeigt, welche Macht die Bürger haben, wenn sie ihre Rechte mit Vernunft und Einigkeit durchsetzen. Es ist zu hoffen, dass dieser Sieg nicht nur vorübergehend ist und dass er den Weg für kollektives Handeln ebnet, um andere Probleme zu lösen, die das Land plagen.

Die Waldbrände: Brandstiftung oder Nachlässigkeit

Die internationale Presse hat sich mit der Badetuch-Bewegung kaum befasst hat. Aber mit Sicherheit hat jedes Medium – zweitens – die die schrecklichen Brände abgedeckt, vor allem dann, wenn Hotels evakuiert wurden und das Leben von Einheimischen und Ausländern in Gefahr war. Auf unseren Fernsehbildschirmen sahen wir Tausende von Touristen, die kilometerweit von den Hotels, die von den Flammen bedroht waren, zu Plätzen und anderen Versammlungsorten wanderten, und diese Bilder erinnerten an Szenen aus Kriegs- und Flüchtlingslagern. Auch der Norden Korfus fing Feuer, und der dortige Bürgermeister erhob schwere Vorwürfe an den Staatsapparat.

So mussten wir neben dem Wetterbericht auch den «Brandbericht» studieren, denn wir mussten unsere Nichte informieren, die zum ersten Mal nach Griechenland kam und ein Zimmer in Korfu gebucht hatte.

Die Anstrengungen des Staates sind in Bezug auf die Brandbekämpfung völlig unzureichend. Medien in der Schweiz schreiben die Brände dem Klimawandel zu. Inzwischen wissen alle Griechen, dass die Brände durch Brandstiftung oder allenfalls Nachlässigkeit verursacht werden. In den letzten Augusttagen äusserte sich zudem die Sternwarte Athen. Sie konterte den Versuch der Regierung, den Wetterbedingungen die Schuld zuzuweisen und stellte das fest, was ich während meines langen Aufenthaltes in Hellas diesen Sommer anekdotisch selber bemerkte: das Wetter war diesen Sommer völlig normal. Es war heiss, es gab zwei Hitzewellen, aber diese waren im üblichen Rahmen.

Viel schlimmer als Rhodos und Korfu ist vermutlich ein Waldbrand, der hierzulande kaum Schlagzeilen macht und immer noch wütet, der Waldbrand im Nationalpark Dadia an der türkischen Grenze in der Nähe des Grenzflusses Evros. Beunruhigend ist nicht nur die Tatsache, dass das Feuer an mehreren Stellen praktisch gleichzeitig ausbrach und deshalb wohl gelegt wurde, sondern auch eine Gesetzesänderung, die es erlaubt, abgebrannte Flächen nicht nur aufzuforsten, sondern auch anderen gesellschaftlich erwünschten Zwecken zuzuführen. Dieser Gummiparagraph könnte es ermöglichen, Wälder abzubrennen, um riesige, monströse Windräder oder auch Hotels aufzustellen. Man nennt das die grüne Energiewende. Vorerst haben seltene Tiere und lokale Gemeinschaften ihre Lebensgrundlage verloren. Die grüne Lunge wurde zu Asche.

Bei Waldbränden führt oft die Frage nach dem «cui bono» – wem nützt es? zu den Gründen. Wenn der Wald in Ruhe gelassen wird, um sich aus seiner Asche zu regenerieren, oder wenn er aktiv aufgeforstet wird und all das verbrannte Land der Natur zurückgegeben wird, dann gäbe es keinen Anreiz für Brandstiftung.

Die Zukunft wird zeigen, was aus dem Dadia-Nationalpark wird. So, wie es war, wird er nicht mehr sein.

Griechenland sollte wachsam sein, damit wir in den kommenden Sommern nicht wieder Situationen erleben, die dazu geführt haben, dass Hellas unter den 20 Mittelmeerländern mit grossem Abstand den ersten Platz bei den verbrannten Flächen einnimmt.

Bürger am Grenzfluss Evros haben in diesem Zusammenhang illegale Einwanderer mit Brandbeschleunigern im Gepäck erwischt und für die Polizei festgehalten. Die herbeigerufene Polizei hat diese Bürger ebenfalls verhaftet, obwohl sie lediglich ihr Eigentum schützen wollten. Das hat in den griechischen Medien Schlagzeilen gemacht.

Arbeitskräftemangel: Alle packen an

Was drittens auffällt, ist der Arbeitskräftemangel im boomenden Tourismus.

Ein Morgen irgendwo im Norden der Insel Euböa. Wir setzen uns zum Frühstück. Die Kellnerin, die die Bestellung aufnimmt, ist etwa 7 Jahre alt. Sie läuft zum Buffet. Dahinter steht ihr Bruder, etwa 10 oder 11-jährig. Die Kellnerin ruft die Bestellung in die Küche, wo die Mutter steht. Auf dem Buffet richten die Geschwister das Tablett mit dem leckeren Frühstück, das dann der Bruder bringt. Für die Schwester ist es noch zu schwer. Der Vater, der etwas am Hotel flickt, wird gerufen, wenn etwas fehlt, das er dann im Keller holt.

Ein Abend am Strand, in der Nähe unseres Sommerhauses auf der gleichen Insel. Eine Kantine steht dort, die wunderbare Souvlaki, selbst geschnittene Pommes Frites (wo gibt es das ausserhalb Griechenlands?) und Mezedes, griechische Apéroplättchen bietet. Der Kellner ist etwa 10-jährig. Er bedient gleichzeitig zwischen vier und sechs Tische. Er räumt ab, nimmt Bestellungen auf, serviert und kassiert. Die Eltern und die ältere Schwester kochen und schieben das Bestellte auf die Anrichte. Das Addieren wird dem Buben schnell von der Hand gehen, wenn er ab Mitte September wieder die Schulbank drückt!

So geht Griechenland mit dem Problem des Arbeitskräftemangels im Tourismus um. Es ist eines der strukturellen Probleme, dass sich die Saison auf wenige Wochen im Juli und vor allem im August konzentriert. Die Kinder haben Ferien, das Land ist von Auswanderung und tiefer Geburtenrate betroffen. Eine Einwanderungswelle wie diejenige aus Albanien in den Neunzigerjahre gibt es nicht. Die Migranten, die über die ostägäischen Inseln und über den Grenzfluss Evros kommen, sollen nicht integriert, sondern abgeschoben werden. So greift Hellas auf die Lösung zurück, die schon in früheren Jahren und Jahrzehnten bei Arbeitskräftemangel geholfen hat: Kinder – in Familienbetrieben packen alle an.

Über die Kehrseite des Tourismus, und wie der Massentourismus nachhaltige, autarke Inselwirtschaften zerstörte, soll in einem anderen Beitrag berichtet werden.

Brände in Griechenland: Klimawandel oder Brandstiftung? (Insel Euböa, 27. Juli 2023)

In den Schweizer Medien, hier sei stellvertretend Tamedia genannt, werden die katastrophalen Waldbrände in Griechenland dem Klimawandel zugeschrieben. Die Medien suggerieren sogar, dass Touristen, die mit dem Flugzeug beispielsweise nach Rhodos fliegen, mitverantwortliche für die Katastrophe sind. Was hat es damit auf sich?

Besonders selbstsicher kommentiert bei Tamedia der Auslandredaktor der Süddeutschen, Tobias Zick. Tamedia hat offenbar nicht mehr die nötige eigene Kompetenz im Auslandsressort. Zick’s Lebenslauf weist keine besondere Griechenlandkompetenz auf. Dass er in Hellas gelebt hat oder der Sprache Homers mächtig wäre, ist nicht dokumentiert. So entsteht eine Berichterstattung, die ich nur als Desinformation bezeichnen kann.

Was ich hier über die Sommerhitze geschrieben habe, gilt immer noch. Nun kommen aber die Brände hinzu.

Am Mittwoch 26. Juli trat ich vor das Haus – der heisseste Tag im Jahr, ungewöhnlicherweise windstill und 36 Grad warm. Ich hörte ein tiefes Brummen und vier langsam und tief fliegende Flugzeuge überflogen mein Haus. Löschflugzeuge. Was war passiert? Etwa 20 Kilometer weit entfernt hatte eine Zypresse ein Stromkabel berührt und sich entzündet. Der entstehende Waldbrand wurde schnell entdeckt und am gleichen Tag gelöscht.

In den Schweizer Medien sind vor allem die Brände auf den Touristeninseln Rhodos und Korfu ein Thema, insbesondere die katastrophale Entwicklung in Rhodos, wo der Brand auch nach einer Woche noch nicht wirklich unter Kontrolle ist. Während bis am 26. Juli die Regierung gebetsmühlenartig den Klimawandel dafür verantwortlich machte, musste sie am 27. Juli davon abrücken, nachdem die mit den lokalen Verhältnissen vertrauten Bürgermeister von Rhodos und Korfu den Verdacht äusserten, die Brände seinen auf Brandstiftung zurückzuführen. Die Mär vom Klimawandel als Brandursache ist mittlerweile derart absurd, dass selbst die Anhänger der Regierungspartei sie nicht mehr glauben.

Fragen an die Regierung

Wenn man einen Artikel schreibt über Waldbrände in Griechenland könnte man ja dem Regierungssprecher einmal ein paar Fragen stellen, zum Beispiel:

  • Warum brennt es nur sehr selten dort, wo keine wirtschaftlichen Interessen im Spiel sind?
  • Warum verlaufen fast alle Ermittlungen wegen Brandstiftung im Sande?
  • Warum gibt es keinen Plan, wie die Wälder systematisch von Totholz geputzt werden im Frühling, so, wie das früher geschah und ich es bei mir tue?
  • Warum gibt es an neuralgischen Punkten keine Brandwachen?
  • Warum wird die Feuerwehr dauernd geschwächt durch die Regierung (vor zwei Jahren wurden eine grosse Zahl ungeimpfter Feuerwehrleute gerade am Anfang der Brandsaison entlassen und deren Lohnetat gekürzt, Feuerwehrautos sind im Durchschnitt über 10 Jahre alt)?
  • Warum ist die Feuerwehr effizient, wenn es darum geht, im Norden von Athen zu löschen, dort, wo die Reichen wohnen, aber nicht in agrarischen Gebieten, wo Windparks geplant sind, die den Kleinbauern die Lebensgrundlage entziehen würden?
  • Warum gab es nur wenige Waldbrände, als die jetzigen Oppositionsparteien an der Regierung war, wenn man vom Brand in Mati 2018 absieht?
  • Warum gibt es kein Gesetz, das konsequent durchgesetzt wird, das es verunmöglicht, auf verbranntem Gebiet zu bauen oder Windparks oder Solaranlagen zu installieren?

Der Versuch einer Antwort

Fragen über Fragen. Ich bereise Griechenland seit 32 Jahren jährlich – Brände vom Umfang der heurigen waren immer ein Thema. In Griechenland ist es seit Jahrzehnten so, dass es von Mai bis irgendwann im September oder Oktober fast nicht regnet und ein trockener Wind geht. Wenn man nicht sehr achtsam ist, sind Waldbrände schnell entfacht. Ich habe damit nicht gesagt, dass der Klimawandel nicht existiert, aber er ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für die Waldbrände, die Griechenland seit Jahrzehnten heimsuchen.

Waldbrände entstehen durch grosse Trockenheit und werden begünstigt durch starke Winde. Hohe Temperaturen sind nicht entscheidend. Während es im letzten Jahr nach einem für griechische Verhältnisse strengen Winter bis im Juni öfters regnete, war der Winter 2022/2023 ausserordentlich mild und regenarm. Im letzten Jahr waren Brände denn auch kaum ein Thema, während Feuersbrünste in diesem Jahr recht früh begannen.

Während der langen Regierungszeit der PASOK vor 2004 gab es wenig grosse Waldbrände, unter der jetzigen Regierungspartei ND gab es davor und gibt es seit 2004 immer wieder schlimme Feuersbrünste – meist aus Unachtsamkeit oder absichtlich gelegt. Bei 80% der Brände kann jeweils die Ursache nicht ermittelt werden, knapp 20% sind auf menschliche Einwirkungen zurückzuführen und unter 1% der Brände haben eine natürliche Ursache. Das sind die Fakten, die Tamedia unterschlägt (offizielle Zahlen der griechischen Feuerwehr). Allein in den letzten Tagen gab es in Griechenland fast hundert Festnahmen wegen Brandstiftung, meist im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Arbeiten, zum Beispiel dem Verbrennen von Ernterückständen oder dem Ausräuchern von Wespennestern.

Die schlimmste Brandsaison war 2007, wo es auch in unserer Gegend – ich wohne im Sommer auf Euböa und weiss, wovon ich rede – gebrannt hat. Dort, wo es damals gebrannt hat, sprossen dann Häuser und kein Grün.  

Als es 2021 in Nordeuböa gebrannt hat (dazu auch hier und über die Beinahe Feuersbrunst bei mir hier), nördlich von dort, wo ich im Sommer wohne, hatte es die lokale Gemeinde 10 Tage vor dem Brand abgelehnt, eine Rodungsbewilligung für einen Windpark zu gewähren. Ich werde in den nächsten Tagen in das Gebiet reisen, das vor zwei Jahren betroffen war, um zu sehen, wie es jetzt dort aussieht und um die lokale Gemeinschaft zu unterstützen.

Vor 2 Jahren hat ein Hauptmann aus Polen berichtet, er habe nach seiner 40-stündigen Autofahrt auf Euböa sofort mit Löschen begonnen. Daneben seien griechische Feuerwehrleute herumgestanden. Auf ihre Untätigkeit angesprochen, sagten sie, sie müssten auf den Einsatzbefehl aus Athen warten.

Schlossfolgerung

  1. Die Brände kommen nicht vom Klimawandel, sondern sind ganz schwergewichtig gelegt oder auf Nachlässigkeit zurückzuführen (wie das eingangs erwähnte Beispiel mit dem Stromkabel).
  2. Die Regierung weiss das, tut aber kaum etwas dagegen.

Um diese Zusammenhänge zu erkennen, müsste man Leute vor Ort haben, die die Sprache sprechen und vor Ort recherchieren. Das scheint aber für Tamedia zuviel verlangt. Meine entsprechenden Kommentare hat Tamedia natürlich nicht publiziert.