Die Mutter von Lara Croft und Rambo spricht

von danielroula

        

(Griechenland, 8. Januar 2024) Der griechische Arbeitsmarkt ist kaputt. Die Löhne sind gering und die Aussichten düster. Eine Mutter berichtet mir, welche Lösungen ihre Kinder gefunden haben.«Mama, hast Du die Hauptnachrichten geschaut?»

«Ja, mein Kind».

«Hast Du die Fregatte gesehen, die fast mit der türkischen zusammengestossen ist?»

«Ja, klar, das ist die Neuigkeit des Tages».

«Ich bin da drauf!»

In einem Kafenion irgendwo in Griechenland. Wir kennen dort eine Frau, die seit Jahr und Tag serviert und hervorragenden griechischen Kaffee kocht. In einem ruhigen Moment sprechen wir sie auf ihre Kinder an, die früher manchmal dort ihre Hausaufgaben gemacht haben.

Sie spricht zuerst über die Tochter. Diese hat bei der Kriegsmarine angeheuert und ist Offizierin auf eine Fregatte. Deshalb kam es zu obigem Telefongespräch zwischen Mutter und Tochter.

Vor einigen Jahren gab es einen Militäreinsatz in Mali. Der Sohn der Frau ist Scharfschütze bei der schnellen Eingreiftruppe der griechischen Armee.

Das ist keine Operettenarmee. Und auch nicht die «beste Armee der Welt» (Altbundesrat Ueli Maurer), die kaputtgespart wurde. Die Griechen konnten die Friedensdividende nie einkassieren und geben viel Geld für ihr gut ausgebildetes Militär aus. Insbesondere die Marine ist derjenigen der Türkei nach wie vor überlegen.

Für einige Tage hatte ihn seine Mutter nicht gesprochen. Er war nicht ans Telefon rangegangen. Und plötzlich stand er da. Auf dem Fernsehbild in den Hauptnachrichten. Mit vorgehaltener Waffe sah sie ihn als Mitglied eines griechischen Vorausdetachements dieser Eingreiftruppe in Mali. Nebst seiner Hauptbeschäftigung ist das Fallschirmspringen ein weiterer Teil seines Jobs. Wenn er zu einer Mission aufbricht, dann darf er seinen Angehörigen davon nichts sagen. Er ist plötzlich verschwunden und geht nicht ans Telefon. Und plötzlich taucht er wieder auf. Zum Beispiel in Mali.

«Ich bin die Mutter von Lara Croft und von Rambo,» kommentierte die Mutter fatalistisch.

Aber da war doch noch ein anderer Sohn. Der ist in Berlin. Während des Studiums in Athen hatte er sich für ein Auslandsemester an der Spree angemeldet. Dort verliebte sich der junge Mann und es gefiel ihm so gut, dass er keine Absicht hat, nach Griechenland zurückzukehren. Das Leben verdient er sich dort selbst mit Kellnern.

Studieren und dann für ein paar hundert Euro Vollzeit arbeiten? Nicht doch. Das Studium in Berlin absolvieren und dann im Ausland Karriere machen.

Die Mutter von Lara Croft und Rambo bereitet sich im Moment darauf vor, ihren Sohn in der Studentenbude in Berlin zu besuchen. Sie war noch nie dort. Immerhin etwas für die mutige Frau.        

Das Kafenion schliesst bald. Eine junge, grossgewachsene, durchtrainierte Frau mit kurzen Haaren betritt den Raum und holt unsere Gesprächspartnerin ab. Das ist sie gewesen: Lara Croft! Sie ist gerade nicht im Einsatz, sondern auf Heimaturlaub.

Ein Blick auf die Statistik: Die Arbeitslosigkeit kam im November in Griechenland zum zweiten Monat in Folge unter der Zehnprozentmarke zu liegen. Sie erreicht den Wert von 2009 und ist damit vergleichbar mit der Zeit vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise.

2013 waren nicht weniger als 28% der Griechinnen und Griechen bei den Arbeitsämtern als arbeitslos gemeldet. Noch vor drei Jahren waren es 17%.

Mittlerweile ist es schon so, dass wie in diesen Spalten berichtet, die Arbeitskräfte im Tourismus im Sommer knapp wurden. Familienbetriebe greifen dann vor allem auf Familienangehörige zurück. Wir wurden im Sommer von einer siebenjährigen Serviererin und einem zehnjährigen Buffetmitarbeiter bedient. Das Bier, das er selbst nicht trinken darf, zapfte ein Dreizehnjähriger.

Dieser Rückgang der Arbeitslosigkeit wird zwar von der Regierung als Erfolg gefeiert, ist jedoch nicht auf ihre Verdienste zurückzuführen. Er hat eher mit der starken Auswanderung und der niedrigen Geburtenrate zu tun – ich berichtete darüber. Im Gegensatz zu Ländern wie Ungarn tut aber Griechenland nichts gegen die tiefe Geburtenrate, die schon in den Neunzigerjahren chronisch tief war. Damals gab es aber die Masseneinwanderung aus dem benachbarten Albanien. Diese Menschen, die heute praktisch vollständig assimiliert sind, sorgten dafür, dass damals die Sozialsystem nicht zusammenbrachen. Heute werden aber die ersten pensioniert. Allein im Jahr 2023 betrug der Bevölkerungsschwund 0,5%.

Insbesondere in der Landwirtschaft, also bei der Feldarbeit, in den Gewächshäusern und in den Viehzuchtbetrieben, fehlen rund 70.000 Arbeitskräfte. Vor Weihnachten passierte ein Entwurf das griechische Parlament, der die Legalisierung von rund 30’000 illegalen Migranten vorsieht, die seit mindestens drei Jahren im Land leben und arbeiten – illegal versteht sich.

Da die Regierung über eine sichere Mehrheit im Parlament verfügt, war der Gesetzesentwurf nicht gefährdet. Gegner der Massnahme, auch innerhalb der regierenden Nea Dimokratia wie der ehemalige Ministerpräsident Antonis Samaras, fürchten, dass damit noch mehr illegale Einwanderer angezogen werden. Auch die Assimilation dieser Menschen wird bedeutend schwieriger werden, da sie nicht aus benachbarten Kulturkreisen stammen.

Man würde eigentlich erwarten, dass das starke Sinken der Arbeitslosigkeit zu Lohnerhöhungen auf breiter Front führen würde. Das ist bisher nicht der Fall. Lohnerhöhungen gibt es zwar, aber diese bewegen sich weit unter der Inflationsrate von immer noch gegen zehn Prozent. Das führt zu einer weiteren Verarmung der griechischen Bevölkerung. Attraktive Arbeitsplätze bietet zum Teil der Staat – siehe Lara Croft und Rambo – und gewisse lukrative Nischen für Selbständigerwerbende. Nicht dass der Staat gut bezahlen würde, aber er bietet immerhin Arbeitsplatzsicherheit. Eine uns bekannte Lehrerin sagt es ihren Praktikanten von der Uni so: «Ergreift diesen Beruf nur, wenn ihr ihn wirklich liebt, denn man wird schlecht bezahlt. 1000 Euro ist das höchste der Gefühle. Sonst geht ihr lieber kellnern.»

Griechische Bürgerinnen und Bürger blicken deshalb pessimistisch ins neue Jahr. 87 % von ihnen gehen davon aus, dass sich ihre Lage im Jahr 2024 verschlechtern wird. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage des Eurobarometers.